Biogasanlagen: Die vergessene Chance der Energiewende? Ein Landwirt klärt auf!
Die Energiewende stockt, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist immer noch groß und im ländlichen Raum kämpfen Landwirte ums Überleben. Gibt es eine Lösung, die all diese Probleme angeht? Ja, sagen Experten und immer mehr Landwirte: Flexible Biogasanlagen! In diesem Blogartikel, der auf einem aufschlussreichen Interview mit Landwirt Curd, einem von 15 Betreibern einer Biogasanlage, basiert, zeigen wir, wie Biogas nicht nur die Dunkelflaute überbrücken, sondern auch die Landwirtschaft revolutionieren kann.
Mehr als nur Futter und Essen: Landwirte als Energieversorger
Die Lebensmittelindustrie ist von vielen Landwirtschaftsbetrieben abhängig. Doch in Deutschland erleben wir ein dramatisches Höfesterben. Biogasanlagen bieten hier eine zukunftsweisende Perspektive: Sie ermöglichen es Landwirten, nicht nur Nahrungs- und Futtermittel, sondern auch Energie zu produzieren. Landwirte, so argumentiert Curd, sind durch ihren Beruf prädestiniert für die Rolle des Energieversorgers. Sie sind es gewohnt, Verantwortung zu tragen, täglich und zu jeder Jahreszeit. Zuverlässigkeit und Versorgungsicherheit sind in ihrer DNA.
Biogasanlage im Detail: Von der Maismiete zum Strom und zur Wärme
Curd führt uns über seine Anlage und erklärt die einzelnen Schritte der Biogasproduktion:
- Silomais-Miete: Hier lagert der gehäckselte Mais, bevor er vergoren wird. Die gesamte Pflanze wird verwendet, Stängel, Blätter und Kolben. Eine kurzzeitige Lagerung von 2-3 Jahren wäre möglich, aber in der Regel wird die Ernte innerhalb eines Jahres verbraucht.
- Fütterung: 80 Tonnen Mais passen in den Betonbehälter und werden über eine Steigschnecke in den Fermenter befördert – genug Futter für einen Tag. Eine redundante zweite Fütterung dient als Ausfallsicherung.
- Fermenter: In diesem luftdicht abgeschlossenen Behälter vergären die Mikroorganismen die Biomasse zu Biogas. Die Anlage von Curd hat drei Fermenter mit einem Gasspeichervolumen von insgesamt ca. 5000 Kubikmetern.
- Gasspeicher: Das entstandene Biogas, hauptsächlich Methan, wird in Gasspeichern zwischengespeichert.
- Blockheizkraftwerke (BHKWs): Die Anlage verfügt über mehrere BHKWs an verschiedenen Standorten, die durch Gasleitungen verbunden sind. Insgesamt wird eine elektrische Leistung von 4,3 MW erzeugt.<sup>1</sup> Das Biogas treibt Motoren an, die Strom erzeugen. Die Abwärme wird genutzt, um die Fermenter zu beheizen und um ein Nahwärmenetz zu versorgen, das unter anderem ein Altenheim, eine Schule und ein Schwimmbad mit Wärme beliefert.
- Gasaufbereitung: Das Biogas wird durch einen Kohlefilter geleitet, um korrosiven Schwefel zu entfernen, und anschließend gekühlt und komprimiert.
- Gärrestlager: Die vergorene Biomasse, das Gärsubstrat, wird als hochwertiger Dünger mit allen wichtigen Nährstoffen (Stickstoff, Phosphor, Kali) wieder auf die Felder ausgebracht. Ein perfekter Nährstoffkreislauf.
Ethische Bedenken? Nahrungsmittelproduktion vs. Energieerzeugung
Curd geht auf die ethischen Bedenken ein, die oft gegen den Anbau von Energiepflanzen vorgebracht werden. Er betont, dass die Biogasanlage vor allem auch ein ökonomisches Standbein für die Landwirte ist. In Europa gäbe es zudem aktuell keine Ernährungskrise, die durch den vermehrten Einsatz von Biogasanlangen ausgelöst werden würde – wir haben eher Exportüberschüsse. Auch die Stilllegung von Ackerflächen aus Naturschutzgründen würde in der öffentlichen Diskussion oft vergessen werden.
Neben Silomais können auch andere Substrate verwendet werden, wie z.B. Gras, Ganzpflanzensilage (GPS) oder Körnermehl. Auch die Vergärung von Gülle bietet Vorteile, da sie vor der Ausbringung als Dünger energetisch genutzt wird. Theoretisch können auch organische Abfälle in Biogasanlagen verwertet werden. Allerdings stellen diese andere technische Anforderungen.
Flexibilität: Der Schlüssel zur Energiewende
- Die Biogasanlage von Curd ist keine gewöhnliche Anlage, sondern eine flexible Biogasanlage. Das bedeutet, dass sie ihre Stromproduktion an den Bedarf des Strommarktes anpassen kann. Möglich wird das durch:
- Leistungsstarke BHKWs: Die Anlage verfügt über BHKWs mit hoher Leistung, um in kurzer Zeit viel Strom produzieren zu können.
- Gasspeicher: Das produzierte Biogas kann zwischengespeichert und zu Spitzenlastzeiten verstromt werden.
- Wärmespeicher: Ein großer Wärmespeicher mit einem Volumen von 300 Kubikmetern (ein weiterer mit 1500 Kubikmetern ist in Planung) puffert die Abwärme der BHKWs. So steht die Wärme auch dann zur Verfügung, wenn die Motoren nicht laufen.
Die Anlage läuft vor allem morgens und nachmittags, wenn der Strombedarf hoch ist. Die Motoren werden kontinuierlich leicht warmgehalten (ca. 60 Grad), um einen effizienten Betrieb und schnellen Start zu gewährleisten.
Die Vorteile der Flexibilisierung sind mehrfach:
- Der Strom wird dann produziert, wenn er tatsächlich gebraucht wird.
- Der Strom kann zu einem höheren Preis verkauft werden.
- Die Anlagen Senken mit ihrer Einspeisung den Strompreis
Zusätzlich könnte die Anlage in Zukunft auch überschüssigen Strom aus dem Netz nutzen, um beispielsweise eine Wärmepumpe oder einen Heizstab zu betreiben und den Wärmespeicher aufzuladen. Gerade im Winter, wenn es zu Windstromüberschüssen kommt, wäre dies eine sinnvolle Ergänzung (Stichwort: Sektorenkopplung).
Biogas: Ein Schweizer Taschenmesser der Energieversorgung?
Curd vergleicht seine Anlage mit einem “Schweizer Taschenmesser”: Sie ist vielseitig einsetzbar und bietet Lösungen für verschiedene Herausforderungen der Energiewende. Sie kann nicht nur Strom und Wärme liefern, sondern auch einen Beitrag zur Netzstabilität leisten. Gerade in Krisenzeiten, so argumentiert Curd, wäre eine dezentrale Energieversorgung durch viele kleine, unabhängige Biogasanlagen einer zentralen, leicht angreifbaren Infrastruktur überlegen.
Die Vorteile von Biogasanlagen im Überblick
- Ideale Ergänzung zu Wind und Sonne: Biogasanlagen können flexibel auf Schwankungen im Stromnetz reagieren und die Residuallast decken.
- Speicherbarkeit: Biogas und Wärme können problemlos gespeichert werden.
- Hoher Wirkungsgrad der BHKWs: Durch die Nutzung der Abwärme erreichen BHKWs einen hohen Gesamtwirkungsgrad von bis zu 90%.
- Regionale Wertschöpfung: Biogasanlagen schaffen Arbeitsplätze im ländlichen Raum und bieten Landwirten ein zusätzliches Standbein.
- Dezentrale Energieversorgung: Viele kleine Anlagen erhöhen die Versorgungssicherheit und können den Netzausbau reduzieren.
Warum zögert die Politik?
Trotz der vielen Vorteile spielen Biogasanlagen in der aktuellen Energiepolitik eine untergeordnete Rolle. Viele Anlagen stehen vor dem Aus, da sie nach dem Auslaufen der EEG-Förderung nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Curd fordert von der Politik, Biogas als wichtigen Bestandteil der Energiewende anzuerkennen und die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Fazit
Biogasanlagen sind mehr als nur Stromerzeuger. Sie sind ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige und sichere Energieversorgung und bieten gleichzeitig eine Perspektive für die Landwirtschaft. Es ist an der Zeit, dass die Politik das enorme Potenzial von Biogas erkennt und fördert.
Quellenangaben:
- Leistung BHKW: Die Angabe von 4,3 MW bezieht sich auf die im Video genannte Gesamtanlagengröße. Konkrete wissenschaftliche Quellen zu dieser spezifischen Anlagengröße sind schwer zu finden, da es sich um eine Einzelanlage handelt.
- Potenzial von Biogas: Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) (2020). Basisdaten Bioenergie Deutschland 2020.
- Flexibilisierung von Biogasanlagen: Fraunhofer IEE (2018). Flexibilisierung von Biogasanlagen.
- Wirkungsgrad von BHKWs: Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung e.V. (B.KWK). Funktionsweise und Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung. https://www.bkwk.de/kraft-waerme-kopplung/
- Investitionsbedarf für Flexibilisierung: Deutsches Biomasseforschungszentrum (DBFZ) (2021). Flexibilisierung von Biogasanlagen: Technische Möglichkeiten, Wirtschaftlichkeit und Förderbedarf.
- Anzahl Biogasanlagen in Deutschland: Deutscher Fachverband Biogas e.V. (2023). Branchenzahlen.